Der Andenstaat Bolivien zählt trotz verstärkter staatlicher Anstrengungen um wirtschaftlichen Aufschwung und sozialen Ausgleich immer noch zu den ärmsten Ländern Südamerikas und zeigt eine starke Ungleichverteilung des gesellschaftlichen Einkommens. Die Mehrheit der Bevölkerung, vor allem in den ländlichen Gebieten, lebt in Armut und hat keinen Zugang zum Gesundheitswesen. Gerade auch die zahnmedizinische Versorgung kommt zu kurz, wobei sich die Auswirkungen dessen bereits bei Kindern und Jugendlichen sehr deutlich zeigen. Um hier Abhilfe zu leisten, engagieren sich bereits seit mehreren Jahren ehrenamtlich tätige Zahnärzte aus Deutschland, etwa im 2008 gegründeten Verein „dentists and friends - helping hands e.V.“. Dieser organisiert zusammen mit örtlichen Initiativen die Auslandseinsätze der Mediziner und Helfer. In Bolivien arbeitet der Verein mit der Stiftung „Hostelling International Bolivia“ zusammen und unterstützt damit das Projekt „Raton Perez“. Dieses Projekt finanziert Kindern und Jugendlichen Zahnarztbehandlungen und sorgt dafür, dass diese mit Zahnbürsten und Zahnpasta ausgestattet und fachgerecht über Zahnpflege aufgeklärt werden.
Bereits sechster Hilfseinsatz in Bolivien
Dr. Annette Schoof-Hosemann, Zahnärztin in Baden-Baden, verbrachte im Sommer 2015 nun schon zum sechsten Mal seit 2010 einen mehrwöchigen Aufenthalt in dem südamerikanischen Land, um Kindern und Jugendlichen eine zahnmedizinische Grundversorgung und Fluoridierung zukommen zu lassen und sie in der richtigen Zahnpflege zu unterweisen. Ihre Reise führte sie von Santa Cruz de la Sierra über Sucre und La Paz bis nach Challa auf der „heiligen Insel“ Isla del Sol im Titicacasee im Westen des Landes. Begleitet wurde sie dieses Mal von den Zahnmedizinstudentinnen Annabella Beyer, Annika Kunzler (beide aus Jena), Laura Leisner (Regensburg) sowie Reinhold Hey, einem Dozenten für Maschinenbau an der Berufsschule Rastatt, der als Mechaniker für die Reparatur von Praxisgeräten zuständig war. VOCO unterstützte diesen Hilfseinsatz mit der Spende diverser Dentalmaterialien, wie etwa den Füllungsmaterialien Grandio und Grandio Flow, dem Adhäsiv Futurabond DC und dem Calciumhydroxid-Präparat Calcicur. Für die Fluoridierungsaktion stellte VOCO die Dentalsuspension Fluoridin N 5 zur Verfügung. Darüber hinaus stiftete VOCO noch einen Amalgamrüttler einer Fremdfirma.
Zahnputzaktionen mit bitterem Beigeschmack
Nach dem Einkauf von Mundschutz, Handschuhen und Anästhetika in einem Dentaldepot in Santa Cruz widmete sich das Team dort mehreren Zahnputzaktionen, unter anderem im Waisenhaus San Lorenzo. Die hier gewonnenen Eindrücke galt es allerdings erst einmal zu verarbeiten. Schoof-Hosemann: „Hier waren etwa sechzig kleine Kinder untergebracht, die nicht wirklich Waisenkinder, sondern von ungewollt schwanger gewordenen Teenie-Müttern ´entsorgt` worden waren. Das von Nonnen geführte Heim war zwar sauber, es glich aber eher einer sterilen Tierklinik. Überall hohe Metallgitter, geflieste Böden und karge Wände. Die Kinder waren regelrecht kontaktsüchtig und wir konnten uns bei unseren Zahnputzaktionen kaum vor ihrer Anhänglichkeit retten. Wir fühlten uns danach recht niedergeschlagen und auch hilflos. Ich musste an meine neun Enkelkinder denken, die mit so viel Liebe und Luxus aufwachsen dürfen.“ Am nächsten Tag stand eine Zahnputzaktion im Armenviertel „Plan 3000“ von Santa Cruz an, welches allein etwa 330.000 Einwohner der 1,5-Millionen-Metropole zählt. Wir unterrichteten rund neunzig Kinder und Jugendliche im Zähneputzen, verschenkten wieder Zahnbürsten und Zahnpastatuben und fluoridierten die noch wenigen gesunden Zähne.
Zurück auf der Isla del Sol im Titicacasee
Nach kurzen Aufenthalten in Sucre und La Paz, nicht zuletzt um Spanischkenntnisse aufzufrischen und Materialien einzukaufen, ging es zum Bergdorf Challa auf der Isla del Sol („Sonneninsel“) im Titicacasee, dem größten See Südamerikas und mit etwa 3800 Metern über dem Meeresspiegel höchstgelegenen kommerziell schiffbaren Gewässer der Erde. Auf der Insel besteht seit Sommer 2013 eine kleine, von „dentists and friends“ und „Hostelling International“ eingerichtete Zahnstation, in der bisher schon sechs Teams aus Übersee zum Einsatz gekommen sind. Die Praxis verfügt über eine Grundausstattung, wobei immer wieder auch improvisiert werden muss. Neben den Behandlungen in der Praxis ging es vormittags auch regelmäßig zu den Schulen in Challa und Challapampa, wo man fast 500 Schüler aus 22 Klassen im Zähneputzen übte und mit Zahnputzutensilien ausstattete. Darüber hinaus wurde quasi im Akkord fluoridiert, wobei die drei Zahnmedizinstudentinnen aus Deutschland immer wieder mit für sie ungewohnten katastrophalen Gebissbefunden konfrontiert wurden und feststellen mussten, dass es kaum kariesfreie Schülergebisse gab. Der größte Ansturm auf die Praxis erfolgte oft erst am Abend. Schoof-Hosemann: „Wir wurden von Patienten nahezu überrannt und es gab so viel Behandlungsbedürftiges. Doch alles lief in geordneten Bahnen ab. Ich bin immer noch tief beeindruckt, wie engagiert und wie sorgfältig die drei Mädels unter meiner Obhut agierten.“
Wermutstropfen in der Bilanz des Hilfseinsatzes
Insgesamt behandelte Schoof-Hosemann mit ihrem Team 126 Patienten, zog 70 Zähne und legte an 47 Zähnen Füllungen aus Amalgam oder Kunststoff. Darüber hinaus wurde im großen Umfang fluoridiert, Zahnstein entfernt und über die richtige Zahnpflege aufgeklärt. Auch bei diesem Einsatz waren die Helfer beeindruckt von der tiefen Dankbarkeit der Patienten. Schoof-Hosemann: „Nicht selten wurden wir alle einzeln, selbst nach langatmigen und schwierigen Behandlungen, von den Geplagten dankbar umarmt. Diese große Dankbarkeit der Menschen ist ein Labsal für die Seele und ein großartiges Geschenk für den mühevollen Einsatz. Die Dankbarkeit und das große Vertrauen in unsere Arbeit bereiten mir immer wieder Glücksgefühle. Und es ist ebenfalls beglückend festzustellen, dass die Arbeit in den Schulen fruchtet, denn die Schüler wissen nun sehr wohl, wie man Zähne vor Karies schützen kann.“ Einzig die starke Verbreitung von Zahnkillern bereitet der deutschen Zahnärztin Kopfzerbrechen: „Leider gibt es auf der Insel kaum gesunde Lebensmittel zu kaufen. Nach wie vor gibt es in den wenigen Kiosken auf der kleinen Insel massenweise Süßigkeiten und stark gezuckerte Getränke, vor allem Coca-Cola. Auch der Schulkiosk bietet nur Süßigkeiten an. So ist es nicht verwunderlich, dass es weiterhin sehr schlecht um den Gesundheitszustand vieler Schülerzähne bestellt ist.“ Und so wird dies wohl nicht der letzte Hilfseinsatz auf der „Sonneninsel“ gewesen sein.
Weitere Informationen: aschoofhose@web.de