Als Zahnarzt in fernen Ländern tätig zu sein reizte mich schon während des Studiums, jedoch wäre das nur mit einem Zeitverlust im Curriculum möglich gewesen. Aus diesem Grund konnte ich meinem Drang, im Ausland zu praktizieren, erst heuer das erste Mal Folge leisten.
Nach meinem Abschluss an der Universtitätszahnklinik in Wien, arbeitete ich an der Abteilung für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie am Kepler Klinikum in Linz und nebenbei als Vertretungszahnarzt in Oberösterreich. Dort konnte ich viele Erfahrungen sammeln und meine Fähigkeiten im Bereich der oralen Chirurgie verbessern. Als nach einem Jahr ein Arbeitswechsel angedacht war, ergab sich diese Möglichkeit.
So konnte ich zwei Monate freischaufeln und machte mich auf die Suche nach einem passenden Projekt. Nach kurzer Recherche kam ich auf die Organisation „dentists and friends“ und verschlang jegliche Erfahrungsberichte der weltweiten Projekte. Ein Projekt nahm meine volle Aufmerksamkeit in Anspruch. Die ersten Sätze dabei waren: „Man ist auf einer Insel, der isal de sol, im Titicacasee, auf einer Höhe von mehr als 3700, hat vor dem Hostel einen Strand, und am Berg befindet sich das „consultario“ die Ordination.“
Das klang zu interessant um es nicht auszuprobieren. Sofort kontaktierte ich die Ansprechperson von „dentists and friends“ zu diesem Projekt, Dr. Annette Schoof-Hosemann auf. Sie war begeistert, einen jungen Kollegen mit chirurgischer Erfahrung, konnte man für das Projekt gut brauchen. Gemeinsam mit „Hostelling International“ unter der Leitung von Max Steiner wurde der Zeitplan für unser Projekt erstellt. Ich wollte meine zwei Monate ganz für das Projekt zu verwenden und einige Zeit mit Fr. Dr. Annette Schoof-Hosemann zusammen arbeiten um von Ihrer langjährigen Erfahrung und Kenntnissen der örtlichen Gegebenheiten zu profitieren. So kam es, dass mein erster Aufenthalt in Bolivien gemeinsam mit Fr. Dr. Annette Schoof-Hosemann und zwei Zahnmedizinstudentinnen Tanas Mastani und Diva Nang aus Bonn für den ersten Monat geplant wurde. Ein privater Termin beorderte mich Ende des ersten Monats für eine Woche nach Österreich zurück zu reisen und dann neuerlich die Reise nach Bolivien anzutreten und zwar mit einem neuen Team. Meine Begleitungen für den zweiten Aufenthalt sollten die frisch promovierte Zahnärztin Carina Baumgart aus Erlangen und zwei Studentinnen Lena Spangler aus Regensburg und Leonard Heym aus Berlin sein.
Annette wollte mich für verrück erklären die Anreise zweimal zu machen, aber es war mir leider nicht anders möglich und ich musste Ihr mehrmals versichern, „dass ich auch wieder komme“. Mein erster Kontakt mit Südamerika und genauer Bolivien fand in Santa Cruz statt, wo ich von Max Steiner empfangen wurde. Dieser erklärte mir noch einige Details über den Aufenthalt, machte mich mit dem südamerikanischen Charakter der Leute vertraut und übergab mir eine Liste mit Telefonnummer für Notfälle. Santa Cruz de la Sierra hat mir gleich gut gefallen, das Wetter war herrlich warm und ich konnte mich nach der langen Reise einen Tag erholen bevor es weiter nach Sucre ging. In Sucre durfte ich meine Spanischkenntnisse auffrischen und mich an die Höhe (2700m) akklimatisieren und konnte Annette persönlich kennenlernen. Man merkte unzweifelhaft, dass man in einem armen Land sei, mit dem Auto musste man kilometerlang Slums durchqueren um die Innenstadt zu erreichen. Armut, Aussichtlosigkeit und erschreckende hygienische Umstände konnte man auf den Straßen und in den Gesichtern der Menschen sehen. Mir wurde auch zum ersten mal bewusst, dass es kalt werden würde. Daher war der gestrickter Alpakapullover vom Markt eine sehr nützliche Investition wie sich später noch zeigte.
In Sucre verbrachte ich 3 Tage während dieser mich Annette auf die Insel vorbereitete und ich auch andere Kollegen welche ebenfalls ehrenamtlich bei Projekten mitarbeiteten kennen lernen durfte.
Dann ging es weiter hinauf nach La Paz, eine faszinierende Stadt, welche in einem Kessel liegt und kein Ende zu haben scheint. Die Straßen sind steil, der Wind eiskalt und die Sonne brennt. Die beiden Studentinnen Tanas und Diva stießen zu uns und wir hatten Gelegenheit, die Stadt zu erkunden bevor wir die Einkäufe für die Ordination erledigen mussten. Es war ein skurriles Gefühl, die höchstgelegene Stadt in einer Seilbahn zu durchqueren und unvergleichliche Ausblicke zeigten sich. Unerfahren und ohne Kopfbedeckung streckte mich die Sonne in Kombination mit der Höhe nieder und ich musste zwei Tage mit Schüttelfrost und Kopfschmerzen im Bett verbringen. Halbwegs erholt konnten wir gemeinsam mit Mitarbeitern von „Hostelling International“ die Einkäufe im Dentalshop und der Apotheke erledigen und alles für die Weiterreise auf die Insel vorbereiten. Dank Materialspenden der VOCO GmbH mussten wir nur mehr einige Hygieneartikel und andere Kleinigkeiten besorgen und mit einigen Kisten Material, ging es mit Bus und Boot auf die Insel.
Hagere Lebensumstände, fragliche Hygiene und dritte Welt-Komfort erwarteten uns. Die Bewohner, meist Hirten, beäugten uns meist etwas skeptisch, waren dennoch freundlich und manchmal auch interessiert an unserer „Idee von Mundgesundheit“.
Unser erstes Ziel waren die Schulen, um den Kindern zu erklären, wie Karies entstehen und vor allem wie man dies verhindern kann. Man merkte, dass Mitarbeiter des Projekts nun schon seit mehreren Jahren die Schulen besuchen, denn es waren Kinder unter den Schülern die wussten, was eine Zahnbürste ist und auch wie man diese richtig verwendet. Dennoch war es erschreckend, Kinder zu unterweisen, die offensichtlich zum ersten Mal so eine „Bürste für die Zähne“ erblickten und weder mit der Handhabung dieser noch den kreisenden Bewegungen vertraut waren. Wir erklärten ca. 400 Kinder in 15 Klassen das Wesentliche über Zahnhygiene, übten gemeinsam das Zähneputzen und durften nach erfolgter Fluoridierung die Kinder mit Zahnbüsten sowie Zahnpasta beschenken. Trauriger Beigeschmack war, dass selbst in der Schule außer Süßigkeiten und zuckerhaltigen Getränken für die Kinder nichts Gesunden für die Jause zu erwerben war, und so mussten wir mitansehen wie die frisch geputzten, fluoridierten kariösen Zähne der Kinder mit Kakao und süßem Popcorn bedient wurden. Annette meinte zu mir Sie sehe teilweise die Sinnhaftigkeit diese Arbeit nicht wirklich, man müsse es aber auf lange zeit sehen und dennoch gab es Lichtblicke, wenn Kindern mit nicht komplett zerstörtem Gebiss eifrig und auch stolz fragten, ob sie denn das Putzen ordentlich machten. Ich denke der wirkliche Erfolg wird sich in der nächsten Generation zeigen, wenn die jetzigen Kinder von klein auf mit Zahnbürsten aufwachsen und es dann ihren Kindern auch von klein- auf lernen. Im „consultario“ arbeiteten wir eifrig, meist war leider nur die Extraktion die Therapie der Wahl und wir freuten uns, wenn wir manche Zähne erhalten konnten und mit Füllung versorgen durften. Die Ausstattung in der Ordination war wirklich gut. Dank vieler materiellen und finanziellen Spenden hatten wir genügend gutes Material. Die Studenten waren eifrig und mit Geduld und penibler Genauigkeit wurden die Zähne behandelt. Manchmal glich die Ordination einem Spielplatz, denn die Neugierde für Neues ist, denke ich, wie überall auf der Welt bei den Kindern ungeheuerlich und Berührungsängste gibt es kaum. So kam es, dass man als Behandelnder zwischen sich und dem Patienten des Öfteren die neugierigen Köpfe der Kinder wiederfand.
In Summe konnte ich so im Team mit Dr. Annette Schoof-Hosemann und mit meinem zweiten Team fast 150 Patienten behandeln und mehr als 400 Kinder mit Zahnbürsten, Zahnpasten und Fluorid therapieren. Das Projekt war eine unglaubliche Erfahrung, die Motivation und der Arbeitswille der Kolleginnen im Team war ungebrochen trotz sehr abenteuerlicher und sporadischer Infrastruktur. Dieses Projekt war für mich sicher nicht das letzte dieser Art, es gibt noch unzählbar viele hilfsbedürftige Orte und Menschen auf der Erde.
Ein Bericht von Tobias Pichler