Ich wollte während des Studiums gerne mal ins Ausland gehen, aber für uns Zahnis sind die Möglichkeiten an Auslandssemester leider sehr begrenzt und durch einige Informationsveranstaltungen bei uns an der Uni und Präsentationen des ZAD auf Bundesfachschaftstagungen kam nur eine Auslandsfamulatur für mich infrage. Da einige meiner Freunde ebenfalls Famulaturen in Bolivien gemacht haben, war gerade dieses Land schon länger interessant für mich.
Nach etlichen E-Mails und Bewerbungen (Ich war eher spät dran ;)) bekam ich eine Zusage von Dentists and friends e.v., die seit 2013 ein Projekt auf der Isla del Sol im Titicacasee betreiben. Da es in Bolivien nicht erlaubt ist, als Student alleine zu behandeln, mussten noch Zahnärzte gefunden werden, die mitreisen – Anfang des Jahres war das leider etwas schwieriger als gedacht. Da es in den größeren Städten in Bolivien mehrere Dentaldepots gibt, in denen wir alles kaufen konnten was vor Ort gebraucht wird, mussten wir im Vorfeld keine Spenden eintreiben, sondern einfach losfliegen. Der Aufenthalt vor Ort wurde von Hostelling International organisiert, sodass man sich (außer um die eigenen Angaben und was man genau machen wollte) um nichts kümmern musste.
Nach 27 Stunden endlosem Flug kam ich endlich in Santa Cruz an. Am Flughafen holte uns Nacira von Hostelling International ab und fuhr am gleichen Tag noch mit uns zu dem ersten Projekt, wo wir arbeiten sollten. Das Projekt war ganz neu und wir waren die ersten deutschen Famulanten, die dort gearbeitet haben. Vor Ort checkten wir erstmal den Bestand im Behandlungsraum – die meisten Sachen waren entweder abgelaufen oder nicht vorhanden, weswegen wir im Anschluss direkt einen Großeinkauf beim Dentaldepot in Santa Cruz machten.
Das Projekt befindet sich in einem armen Viertel in Santa Cruz, einer Art Jugendzentrum für die Kinder der Gegend, die dort Mittag essen, lernen oder an Sportkursen teilnehmen können – abgesehen von uns Zahnis gab es dort noch weitere Freiwillige aus Deutschland, die zum Glück ein wenig für uns dolmetschen konnten :)
Es ist wichtig, dass man halbwegs gut spanisch spricht, da man sich sonst vor Ort wirklich kaum verständigen kann. Kaum einer spricht wirklich englisch, nichtmal im Hotel, von den Kindern natürlich ganz zu schweigen. Anfangs war das sehr problematisch, da wir auch kein fließendes spanisch sprechen und erstmal reinkommen mussten – die meisten reden relativ schnell und auch anders als z.B. in Spanien.
Nach kurzer Zeit und mit einigen Spanischkenntnissen gewöhnt man sich aber daran. In dem Projekt in Santa Cruz hatten wir sehr viele Patienten, die meisten natürlich Kinder, die es nicht gewohnt sind, sich zu Hause die Zähne zu putzen. Einige besitzen nicht einmal eine Zahnbürste. Dementsprechend viel Bedarf gibt es dort, es wird nicht langweilig und man kann einiges machen. Die Kinder essen und trinken extrem viel Süßes und eigentlich alles wird in Massen gezuckert. Viele der Zähne wären eigentlich extraktionswürdig, auch teilweise bleibende Molaren, die tief zerstört sind. Das ist leider keine Seltenheit dort, allerdings wird mit allen Mitteln versucht, die Zähne noch zu erhalten. Im Projekt selber versuchen die Freiwilligen nach dem Mittagessen mit den Kindern Zähne zu putzen und sie für Wasser statt Limonade zu begeistern – das ist allerdings von wenig Erfolg gekrönt :) Die Kinder freuen sich oftmals sehr, dass jemand da ist, der sie behandelt und kommen gerne in den Behandlungsraum.
Auch in Bolivien sind Zahnbehandlungen für die Bevölkerung recht teuer, eine Zahnarztbesuch können sich viele nicht leisten. Große Probleme mit Behandlungen hatten wir nicht, da die Kleinen im Großen und Ganzen sehr tapfer waren :) Auch wenn wir jeden Tag von 9 – 18 Uhr vor Ort waren, ist immer noch sehr viel zu tun und weitere Famulanten werden dringend gebraucht.
Nach dem Einsatz in Santa Cruz hatten wir eine Woche freie Zeit, bis es zur Isla del Sol weitergehen sollte. Also fuhren wir nach Sucre, einer wunderschönen Stadt mitten in Bolivien, von wo aus wir die Salz&Silber-Tour antreten wollten – zum Salar de Uyuni. Jeder, der eine Famulatur in Bolivien macht, sollte sich die Zeit nehmen, dort hinzureisen, da die Salzwüste einen umhaut – egal ob man zur Regenzeit dort ist oder nicht.
Nachdem wir daraufhin in La Paz angekommen waren, um noch notwendige Sachen für die Behandlung auf der Isla del Sol zu kaufen, fuhren wir direkt nach Copacabana, eine Stadt am Ufer des Titicacasees. Von dort aus fährt eine seeeehr langsame Fähre 2 Stunden lang hinüber zur Isla del Sol. Die Isla del Sol besteht aus drei Gemeinden, Challapampa, Challa und Yumani. Challa ist eindeutig die am wenigsten touristische und ärmste der drei Gemeinden. Dort steht die Praxis, die Dentists and friends dort errichtet haben. Vom Hostel aus nur ein 25-minütiger Weg bergauf ;) Auf der Isla gibt es keine Straßen oder ähnliches, praktisch die ganze Insel besteht aus Gestein und so ist es etwas mühselig, dort von A nach B zu kommen. Wer gerne wandert kommt hier auf jeden Fall auf seine Kosten. An den freien Tagen kann man Ausflüge zum Norden oder Süden der Insel machen, die Landschaft ist sehr schön und man kann einige Stunden wunderbar spazieren (und teilweise Bergsteigen). Ansonsten kann man sich die Nachbarinsel, Isla de la Luna, anschauen. Von Yumani aus fahren Boote dorthin.
Nach der Ankunft wurden wir von Nelson und seinem Vater Jorge, die uns die nächsten Wochen beherbergen sollten, in Empfang genommen. Die beiden sind sehr nett und freuen sich auch, euch Essenswünsche zu erfüllen, damit es nicht zu eintönig wird. Nahrungsmittel sind auf der Isla auch knapp, da vor Ort eigentlich nichts angebaut werden kann und alles von Copacabana herübergeschifft werden muss. Supermärkte oder ähnliches gibt es nicht, nur hier und da einen kleinen Kiosk, der auch eigentlich keine Öffnungszeiten hat. Normalerweise stellt man sich vor den Zaun und ruft ein paar Mal laut HOLA und irgendwann kommt jemand! Im Kiosk selber gibt es nichts Frisches, sondern Bananenchips, Eis, Schokolade, Cola.. Süßes eben.
In jeder Gemeinde gibt es „Anführer“, die stellvertretend für die Gemeinde sprechen dürfen – da muss man sich erstmal vorstellen und erklären, was man auf der Insel vor hat, da die Einheimischen Ärzten gegenüber relativ skeptisch sind. Viele Bolivianer glauben an die Pachamama, die ihnen Leben schenkt und sie nährt – und eher weniger daran, dass Ärzte einem manchmal besser helfen können. So wird zum Beispiel der erste Schluck eines Getränks traditionell auf die Erde geschüttet, um so der Pachamama zu huldigen. Im Laufe des Einsatzes auf der Isla durften wir sogar bei ein paar Ritualen dabei sein.
Die Praxis auf dem Hügel ist super eingerichtet, es gibt einen Behandlungsstuhl und einen Schrank, in dem eigentlich alles drin ist, was gebraucht wird. Man bekommt von seinen Vorgängern eine Liste mit Sachen, die aufgefüllt werden müssen, ansonsten hat man alles da. Problematisch ist es mit dem Wasser, das nicht immer funktioniert – im Notfall muss man Wasser aus dem Brunnen holen und es abkochen, damit die Einheit mit Wasser laufen kann. Die Behandlungszeiten im Consultorio kann man sich selber wählen, wir waren jeden Tag von 9-12 und von 15-18 Uhr dort.
An unserem ersten Einsatztag gingen wir in die Schule, die sich direkt neben dem Hostel befindet. Dort wartete eine Versammlung von Lehrern auf uns, die unseren Aufenthalt dort bewilligen mussten. Danach gingen wir in die Schulklassen, um den Kindern zu erklären, wie Karies entsteht und wie sie am besten ihre Zähne putzen sollen. Die Kinder mit den schlimmsten Zähnen sollten direkt mit in die Behandlung mit uns kommen – war eigentlich der Plan. Leider brauchte auch hier jedes Kind wirklich dringend eine Behandlung. Zuerst haben wir versucht den Kindern zu erklären, dass sie bitte am Nachmittag mit ihren Eltern zu uns kommen sollen, geklappt hat das leider nicht.
In den ersten Tagen kamen sehr wenige Patienten, auch wenn wir sehr oft angesprochen wurden von Anwohnern, die gerne kommen wollen, da sie irgendwelche Schmerzen haben. Das zog sich die erste Woche auch so durch. Aus der Schule durften wir keine Kinder mitnehmen, obwohl es eigentlich so abgesprochen war, und so kam es auch vor, dass wir an manchen Vormittagen keinen einzigen Patienten hatten. Nachmittags war die Nachfrage schon etwas höher, wenn auch nicht immer auslastend.
Auch auf der Isla haben wir versucht, alle Zähne die noch zu erhalten waren, zu erhalten. Einfach ist die Behandlung dort trotz guter Ausstattung dennoch nicht. Der Sauger funktioniert nicht immer richtig und Trockenhaltung ist schwierig. Aufgrund dessen und da es auch kein Röntgengerät vor Ort gibt, sind jegliche Versuche, Wurzelkanalbehandlungen durchzuführen, eigentlich nicht möglich.
Nach der ersten Woche kam Nelson noch einmal mit uns zur Schule, um ein klärendes Gespräch mit den Lehrern zu führen, woraufhin wir dann doch jeden Vormittag eine Gruppe Kinder mit ins Consultorio nehmen konnten. Aufgrund der desolaten Gebisse, die so gut wie alle Kinder dort haben, war es in der kurzen Zeit nicht möglich, jedes Kind angemessen zu sanieren.
Frau Schoof-Hosemann, eine Mitgründerin des Projekts, hat sich in Sachen Prophylaxe schon viel engagiert in der Gemeinde Challa. Auch wir haben versucht, den Leuten etwas in Sachen Mundhygiene mit auf den Weg zu geben, indem wir Zahnbürsten und Zahnpasta verteilten oder den Kinder mithilfe vom Praxis-Drachen Max Zähneputzen beibrachten. Viel zu tun ist in dieser Hinsicht jedoch immer noch; von allen Kindern, die wir gesehen haben, hatten genau zwei Jungs ein gesundes Gebiss ohne Karies.
Die Verständigung auf der Isla del Sol ist außerdem noch dadurch erschwert, dass viele der Einheimischen vor allem Aymar sprechen, die Sprache der indigenen Bevölkerung der Insel. Im Großen und Ganzen kann ich sagen, dass sowohl die tollen Projekte als auch das Land selber eine Reise absolut wert sind. Die Behandlung ist unter den gegebenen Bedingungen schwierig und man stößt oft an seine Grenzen, aber so lernt man auch einiges dazu. Man sollte sich auch darüber im Klaren sein, dass gerade der Aufenthalt auf der Isla sehr anstrengend sein kann, da das Wetter oftmals schlecht ist (teilweise hat es tagelang geregnet, vor allem morgens) und die Freizeitgestaltung in Ermangelung an Möglichkeiten sehr eingeschränkt ist. Es wäre ratsam, sich genügend Bücher etc. mitzubringen! Die Mitarbeit im Projekt ist es aber mehr als wert! Die Betreuung durch Dentists and friends sowie Hostelling International war spitze und mit Annette Schoof-Hosemann, die selber schon einige Zeit vor Ort verbracht hat, hat man immer eine sehr nette und kompetente Ansprechpartnerin, wenn mal etwas nicht richtig läuft. Jedem Zahni, der sich für eine Famulatur in einem der beiden Projekte entscheidet, sollte man ans Herz legen, zumindest Grundkenntnisse um Spanischen zu erlernen, da man sonst dort nicht klarkommt.
Ein Bericht von Sabrina Viola Knopp