Das dachten wir uns wohl beide, als wir uns auf die Suche nach einem interessanten Projekt in Südamerika machten. Bei der Organisation „dentists&friends“ wurden wir fündig. Ich begann im September den Kontakt aufzubauen und hoffte, dass sich noch jemand mit Interesse für diesen Zeitraum melden würde, allein ist‘s ja doch nicht so schön. Die Grundlage war geschaffen und nun hieß es warten. Ich sollte Glück haben, denn ein paar Wochen später rief mich Annette, die Projektleiterin, an und meinte dass sich noch eine Studiumsabsolventin, Sina, für den Zeitraum gemeldet hat. Juhu! Die Realisierung des Einsatzes rückte für mich plötzlich ein ganzes Stück näher.
Wir warteten noch etwas ab, aber mehr Personen wurden es nicht. Gut, dann zu zweit! Wir schaffen das schon!
Im November lud uns Annette zu einem Kennenlern-Wochenende ein, bei dem wir einiges über Land, Leute und Gepflogenheiten erfuhren. Die Sympathie stimmte auch und so stand dem Ganzen nichts mehr im Wege.
Die Flüge wurden gebucht, Impfungen abgeholt und auch sonst gab es eine Menge zu organisieren. Im März sollte es losgehen.
02.03.2014
Wie schnell die Zeit verging! Mit einem Mal trafen wir uns am Flughafen wieder und starteten in eine aufregende Zeit. Nach einigen Flugverspätungen und Pannen kamen wir endlich im warmen Santa Cruz an. Wir hatten uns bewusst dafür entschieden, nicht direkt in La Paz zu landen, um uns allmählich an die Höhe zu akklimatisieren. So erlebten wir den Karneval hautnah mit und wurden mit reichlich Farbe beschossen. Das ist dort üblich und ein Riesenspaß. Die Haare waren nur nach einem Monat noch bunt…
Max Steiner, der Gründer von Hostelling International, war so nett uns einen Teil der Stadt zu zeigen und erzählte uns viel über Bolivien und die laufenden Projekte vor Ort. Nach 3 Tagen ging’s mit dem Nachtbus rauf ins wunderschöne Sucre. Bei diesen unbefestigten Passstraßen sollte man nachts seine Augen lieber geschlossen halten. Die Straße- so breit wie der Bus und rechts der Abgrund, da setzt schon ein bisschen der Angstschweiß ein.
Sucre ist wirklich schön und bietet einige Beschäftigungsmöglichkeiten. Wir beschäftigten uns aber vor allem 2 Wochen mit der spanischen Sprache, um uns für die Arbeit auf der Insel vorzubereiten. Dabei half uns Monica und wir lernten wirklich einiges. Vor allem Sätze, die man als Zahnarzt braucht, konnten wir nach der Zeit schon fast im Schlaf. Besonders „Tenemos que sacar este diente!“ sollten wir noch oft gebrauchen.
Bald war die Zeit vorbei und wir machten uns auf den Weg nach La Paz. Die Stadt ist garnicht so unschön wie vermutet und hat ein ganz nettes Zentrum und einen beeindruckenden Aussichtspunkt.
In den 2 Tagen kauften wir alle nötigen Materialien für unseren Einsatz ein und wurden dabei von Lourdes, einer Mitarbeiterin von Max Steiner, unterstützt. Mit Händen und Füßen erklärten wir in den Dentalbüros unsere Wünsche und bis auf wenige Ausnahmen haben wir alles bekommen. Der erste Sprachtest war gemeistert und auch irgendwie amüsant. Dann ging es auch schon auf die Insel. Mit Vorfreude und Neugierde im Bauch machten wir uns mit Lourdes und Jennifer, einer weiteren Mitarbeiterin, auf die 7-stündige Reise zur Isla del Sol. Wow, wer hätte gedacht, dass das so lang dauert? 3h Bus, 1/2h Übersetzen mit dem Boot, 1h Bus, 2h Bootsfahrt.
In Copacabana wurden alle Materialien und Taschen auf das Boot der Gemeinde „Challa“ geladen und los ging die Fahrt. Zufällig trafen wir dabei auch gleich auf die Freiwilligen von der Insel, die von einem Ausflug zurückkamen. Bei jeder neuen Küste, die wir sahen, fragten wir: „Ist das die Isla del Sol?“ Es dauerte jedoch noch ein kleines bisschen. Irgendwann waren wir an der richtigen Insel und legten bald am Strand von Challa an, nur ein paar Meter entfernt von unserem zu Hause auf Zeit.
Meine Güte, ist das schön hier! Uns wurde unser Zimmer gezeigt, die Haustiere vorgestellt und natürlich Nelson, der „Hostelpapa“. Hier hält man es doch gut ein paar Wochen aus! Challa ist unheimlich ruhig und wenig touristisch; man fühlt sich in der Zeit etwas zurückversetzt, weil alle ziemlich einfach leben; überall Hunde, Schafe, Schweine, Kühe und Esel; der See rauscht wie ein Meer und hat uns jeden Morgen sanft geweckt; es gibt keinerlei Medien; für den Appetit kann man in einen der Kiosks gehen, falls er offen hat; es gibt wirklich nix weiter- und es ist herrlich! Wir haben sehr viel gelesen und sind richtig zur Ruhe gekommen, mal abgesehen von der Arbeit.
Gegen Abend brachten Sina und ich mit Lourdes und Jennifer die Materialien zum Consultorio auf den Berg. Puh…da bleibt einem ja fast die Luft weg. So ein Berg in 4000m Höhe ist wirklich kein Zuckerschlecken. Leicht außer Atem schauten wir uns das erste Mal die kleine Praxis an und waren positiv überrascht. Die Einheit ist ziemlich modern, es gibt einen kleinen Heißluftsteri und alles ist schön gestaltet. Auch sonst ist nahezu alles da, was man braucht!
Die nächsten Tage verbrachten wir damit, das Consultorio auf Vordermann zu bringen. Eigentlich wollten wir schon etwas eher anfangen zu arbeiten, aber der Techniker verspätete sich etwas. So hatten wir mehr Zeit zum Putzen, Einsortieren, Ausprobieren, Sterilisieren und Inventar-Auflisten.
Außerdem waren wir zwei Tage in der Schule und haben uns in jeder Klasse vorgestellt, mit vielen Kindern Zähneputzen geübt und erklärt warum das ganze so wichtig ist. Zu Hilfe war uns dabei „Pablo“- ein kleiner Stoffdrachen mit wunderschönen Zähnen und einer Zahnbürste. An ihm konnte man alles gut demonstrieren und üben. Er war der Liebling aller Kinder und hatte nach den zwei Tagen dann auch leider eingerissene Mundwinkel, weil er etwas strapaziert wurde. Am Montag ging die Arbeit dann endlich los für ein paar Wochen. Die erste kleine Patientin war gleich mal ein Härtetest für uns. Völlig zerstörter schmerzhafter unterer 6er. Das geht ja gleich richtig los hier!
In den Wochen danach haben wir so einiges gesehen, erlebt und zusammen gemeistert. Gerade bei den Kindern gab es so viel zu tun, dass man nur einen Bruchteil realisieren konnte. Viele haben unzählige Wurzelreste im Kiefer, aber behandelt werden soll immer nur der Zahn, der eben gerade Schmerzen bereitet. Ganz oft hatten wir um die 6 Kinder im Behandlungsraum. Eins davon lag auf dem Stuhl und die anderen 5 Geschwister und Cousinen oder Cousins standen neugierig um den Stuhl, haben zugeschaut, Fragen gestellt und den kleinen Patienten getätschelt und versucht zu beruhigen, falls nötig. Das geschah durch Streicheleinheiten und einer ordentlichen Anzahl von „Amuckim, amuckim, amuckim!“, was auf Aymara so viel heißt wie „Ruhig!“ oder „Bleib ruhig!“. Solche Situationen waren immer sehr niedlich, aber forderten auch ruhige Nerven. ;-)
Fast alle haben eine richtig ausgeprägte Gingivitis und es blutet sehr leicht. Viele wirken viel älter, als sie eigentlich sind, v.a. wenn mit Mitte 20 schon die ganze Front fehlt. Die Karies ist oft okklusal, geht aber dann richtig tief. Auch Frontzahnkaries ist sehr ausgeprägt und erfordert oft eine Wurzelkanalbehandlung, was ohne Röntgen immer etwas schwierig ist. Allgemein war vormittags weniger los und ab halb vier kamen dann gefühlt alle. Sie scheinen alle den gleichen Tagesrhythmus zu haben und die Kinder können aufgrund der Schule ja sowieso nur nachmittags. In der ersten Zeit kamen v.a. Kinder, später dann mehr Erwachsene, als die größte Neugier der Kleinen gestillt war. Oft war es auch so, dass die Kinder erstmal vorgetestet haben und dann ihre Eltern mitgebracht haben, wenn es okay war. Verkehrte Welt.
Oft helfen nur noch Extraktionen. Trotzdem weigern sich manche Zähne zu ziehen, da sie nicht mehr viele haben. Man kann es verstehen, da sich Prothesen die wenigsten leisten können. Auffällig ist auch, dass vielen mit Tabletten geholfen ist. Sie haben Schmerzen und nehmen etwas dagegen. Das löst zwar nicht den Kern des Problems, aber das ist nicht wichtig. In Bolivien gibt es auch Pharmazien wie Sand am Meer. Man sagt, das sind die „Ärzte Boliviens“. Es ist wohl einfach die unkompliziertere, schnellere und billigere Variante. Bolivianer sind nämlich selbst ziemlich langsam in Ihren Handlungen, andererseits aber auffällig ungeduldig.
Die Arbeit hat jedenfalls wirklich Spaß gemacht, wir haben viele Zähne gezogen, aber auch einige Füllungen gemacht, viele Zahnbürsten und Pasta verschenkt (oft kamen die Kinder nur, um sich ihre Zahnbürste abzuholen, weil sie es von jemand anderem gehört hatten), mit dem Winkelstück gekämpft, das leider nur 2 Tage funktioniert hat (dann war nur noch die Turbine im Einsatz) und auch hier und da mal improvisiert.
Neben der Arbeit hatten wir v.a. an den Wochenenden auch Zeit für andere Dinge. Wir waren wandern, haben Yumani und Challpampa besucht, haben uns in den wirklich kalten See gewagt, uns über die zahlreichen Schweine am Strand gefreut, den Umsatz vom Kioskbesitzer „Don Victor“ gesteigert, schöne Abende und Nachmittage mit den anderen Freiwilligen verbracht, Nelsons legendäre Forelle gegessen und vor allem die Insel lieben gelernt!
Wir sind dankbar für jeden, der uns in irgendeiner Form unterstützt und begleitet hat und für alle, die diese Reise zu dem gemacht haben, was sie war! Ihr Insulaner seid super! ;-)
Ein Bericht von Doreen Thielscher