Im Laufe unseres letzten Studienjahres in Halle (Saale) wurde Nora durch den Zahnmedizinischen Austauschdienst auf verschiedene zahnmedizinische Hilfsprojekte in Südamerika aufmerksam und war sofort Feuer und Flamme für die Station auf der Isla del Sol, der „Sonneninsel“, gelegen im berühmten Titicacasee. Schnell war der Kontakt zu Annette aufgebaut und auch Claudia angesteckt von der Idee, im Anschluss an unser Studium eine Auslandsfamulatur in Bolivien anzutreten.
Nach einigen netten Mails von Annette, lud sie uns im November zu sich in’s schöne Baden-Baden ein. Beim Abendessen gab es einen ersten kulinarischen Einblick mit typisch bolivianischer Sopa de Maní und Annette versorgte uns nebenbei mit allen nötigen Informationen für die Reise und praktischen Tipps für die Behandlung vor Ort. Denn während unserer Zeit in Bolivien würden wir größtenteils auf uns gestellt sein.
Einen Monat nach dem Examen ging es am 7.Januar 2018 los. Mit dem Zug nach Frankfurt a.M. und mit Zwischenlandung in Madrid direkt in die tropische Wärme von Santa Cruz.
Neben unsere Reiserucksäcken hatten wir auch eine Tasche voller Spenden dabei, die wir und Annette noch in Deutschland zusammengestellt hatten. Darin befanden sich u.a. Composite, Extraktionszangen, Füllungsinstrumente, Spielzeuge, Malsachen und sogar eine Kroko- Handpuppe.
Angekommen in Santa Cruz wurden wir schon von einem Fahrer erwartet. Er brachte uns in ein schönes, zentral gelegenes Hotel und trotz der Müdigkeit nach der langen Reise, waren wir voller Vorfreude auf die bevorstehenden Wochen.
Nach wenigen Stunden im Land bekamen wir auch schon die erste Nachricht von Max Steiner – er würde uns am Nachmittag in einem Café treffen wollen. Wir wurden stutzig, da Annette zwar viel von Max erzählt hatte, aber immer meinte, dass wir ihn im Idealfall nie treffen würden. Und leider, wie wir es ahnten - er überbrachte schlechte Neuigkeiten.
Santa Cruz war in den Wochen vor unserer Anreise von einem Unwetter mit starken Regenfällen heimgesucht worden. Die „Plataforma solidaria“ sollte unser erster Arbeitsplatz in Bolivien sein und war nun völlig überflutet. Darüber hinaus erfuhren wir von dem aktuellen Ärztestreik, der durch Gesetzesänderungen ausgelöst wurde und der Rallye Dakar, die zusätzlich bestimmte Reiserouten blockierte.
Diese Neuigkeiten versetzten uns natürlich einen gehörigen Dämpfer. Doch Max setzte sofort alles in Bewegung, um unseren Reise- und Arbeitsplan komplett neu zu organisieren. Innerhalb kürzester Zeit hatten wir alles besprochen und unser Ziel für die nächsten Tage stand fest: statt mit dem Taxi nach Los Lotes ging es mit dem Nachtbus nach La Paz.
14 Stunden, einige Soroche-Pillen (Höhenkrankheit-Prophylaxe) und Empanadas später fuhren wir am Mittag in den Kessel von La Paz ein. Was für eine Stadt. Diesen ersten Anblick werden wir nie vergessen. Um Max und seinem Team etwas Zeit für die Organisation eines neuen Arbeitsplatzes für uns zu verschaffen, zogen wir alle geplanten Ausflüge vor und starteten nach einem halben Tag Eingewöhnung am kommenden Tag mit einer Stadtführung inklusive Teleférico-Fahrt und einer Besichtigung des Moon Valleys. Dank Victor, einem Freund von Max, war, trotz der spontanen Planänderungen, alles sehr gut organisiert. Einen glücklichen Zufall brachte das Ganze mit sich: wir konnten, direkt neben den Demonstrationen der Ärzte, die Rallye Dakar in La Paz einfahren sehen und waren ganz aus dem Häuschen. Am nächsten Tag fuhren wir mit dem Bus leider nicht wie geplant für zwei Wochen auf die Isla del Sol, um unser Projekt anzutreten, sondern besuchten sie nur für ein paar Tage als Touristen. Trotz großer Hoffnungen konnte der Streit zwischen Challa und Challapampa nicht niedergelegt werden und drohte zu eskalieren. Da wir uns auf diese Zeit am meisten gefreut hatten, war diese Information ein herber Rückschlag für uns.
Aber auch in dieser Situation standen uns Max Steiner und sein Team mit Rat und Tat zur Seite und organisierten den weiteren Ablauf erneut, während wir die beeindruckende dreitägige Salar de Uyuni Tour genießen konnten. Neben der Salzwüste durften wir Flamingos, bunte Lagunen, Geysire, Lamas & Vulkane entlang der chilenischen Grenze bestaunen und zusätzlich bei Sonnenaufgang auf 5000m Höhe in vulkanischen Thermalquellen baden.
Bei einem kurzen Abstecher nach Potosí bekamen wir in einer Begehung einer aktiven Silbermine einen bewegenden Einblick in das Leben zum Teil sehr junger Bergarbeiter. Außerdem besichtigten wir das Münzenmuseum Casa de la Moneda.
Nach einer rasanten, aber landschaftlich vielfältigen Taxifahrt, erreichten wir 2 Stunden später Sucre. Hier sollte nun unser neues zahnmedizinisches Projekt in der Praxis von Dr. Fernando beginnen. Er hatte bereits vor einigen Jahren mit Annette und Max zusammengearbeitet. Mit offenen Armen wurden wir in unserer Unterkunft der kommenden zwei Wochen von Arturo und den deutschen Voluntarios begrüßt. Wir fühlten uns bestens aufgehoben in Sucre.
Am nächsten Tag stellte uns Arturo Dr. Fernando vor und mit beiden kauften wir alle notwendigen Materialien für die Behandlungen im Dentaldepot. Nachdem wir uns in der Praxis etwas eingerichtet hatten, kamen auch direkt die ersten Patienten. Im beeindruckenden „Kultur Berlin“ Hotel ließen wir gemeinsam mit Arturo und den Voluntarios den Tag ausklingen und erfreuten uns an den aufgeführten bolivianischen Tänzen.
Dann begann endlich unser bolivianischer Zahnarztalltag. Wir staunten erneut über die tolle Organisation von Max Steiner, Arturo und Dr. Fernando- sie hatten in der Kürze der Zeit Flyer angefertigt, die unseren Aufenthalt und unsere Freiwilligenarbeit ankündigten. Wie sah nun so ein typischer Tag in Dr. Fernandos Praxis aus? Nach einem schnellen Frühstück und einem zehnminütigen Morgenspaziergang zur Praxis starteten wir 8 Uhr mit der Behandlung. Füllungen und Extraktionen standen für uns auf der Tagesordnung, während sich Dr. Fernando weiterhin seinen endodontischen und prothetischen Fällen widmete. Da es nur einen Behandlungsraum gab, konnten wir am Ende des Tages etwa 10- 15 Compositfüllungen vorweisen. In den zwei Wochen zogen wir 8 Zähne. Die Zusammenarbeit mit Dr. Fernando war für uns eine einzigartige Chance, Einblick in den Alltag eines bolivianischen Zahnarztes zu bekommen. Als besonders beeindruckend empfanden wir, dass ihm keine Assistenz zur Seite stand und er zusätzlich noch einfache zahntechnische Arbeiten selbst anfertigte. Für uns- die in der Universität ausschließlich mit digitalem Röntgen in Berührung gekommen sind- war die manuelle Filmentwicklung im Entwicklerbad, einer Zwischenwässerung und abschließend Eintauchen in die Fixierlösung eine kleine Reise in die Vergangenheit. Nach getaner Arbeit wartete auf uns das typische „Almuerzo“- ein Mittagsmenü bestehend aus Suppe und Hauptgericht in einem Lokal nur ein paar Straßen weiter. Gut gestärkt öffneten wir 14 Uhr die Praxistüren erneut.
Dr. Fernando war während unseres Aufenthalts eine tolle Stütze- auch wenn es anfangs kleinere Kommunikationsschwierigkeiten gab, tauschten wir uns nicht nur über zahnmedizinische Gemeinsamkeiten und Unterschiede aus, sondern unterhielten uns auch gerne über die jeweiligen kulturellen und kulinarischen Besonderheiten. Da die Praxis im Haus seiner Mutter integriert war, durften wir ein familiäres Umfeld genießen und uns ab und an über einen Kaffee im schönen Garten mit Blick auf die Stadt freuen.
Nach dem Feierabend 18 Uhr, bereiteten wir uns meist in der WG- Küche unser Abendessen zu. Dafür besuchten wir gerne den Markt in der Nachbarschaft, der uns mit frischem Obst und Gemüse aus der Region versorgte.
Wie im Fluge verging unser Einsatz bei Dr. Fernando und bald hieß es Erinnerungsfotos schießen und mit einem kleinen Präsent Abschied nehmen. Während unseres Aufenthalts in Sucre stand uns Arturo, der mit seiner Familie im Nachbarhaus wohnt, hilfsbereit zur Seite, um jegliche Unklarheiten aus der Welt zu schaffen.
Aufgrund des geänderten Ablaufs traten wir ein zweites Mal die lange Busfahrt nach La Paz an- diesmal sogar wagemutig ohne Soroche- Prophylaxe. ;) Wir nutzen den letzten Tag um Souvenirs zu kaufen und nach wenigen Stunden Schlaf fuhren wir durch die Nacht zum Flughafen und konnten einen letzten Blick auf die hell erleuchtete Stadt im Kessel erhaschen.
Am Flughafen angekommen realisierten wir erstmals, dass unsere aufregende, aber nichtsdestoweniger atemberaubend schöne Zeit in Bolivien ein Ende nimmt.
Wir durften die Bolivianer mit ihrer gelassenen, herzlichen, unaufdringlichen Art kennenlernen. Die vielfältigen, wunderschönen, manchmal surreal wirkenden Landschaften werden wir nie vergessen. Und last but not least haben wir als angehende Zahnärztinnen viele Erfahrungen dazu gewonnen. Alles in allem eine einmalige Zeit, die wir nicht missen wollen.
Und wenn immer alles nach Plan laufen würde, wo bleibt da der Spaß und das Abenteuer???
Ein Bericht von Claudia Preussler, Nora Berthel