Mit einem dicken Stapel vorbereiteter Formulare, dem negativen PCR-Test vom Vortag, eingecheckt und mit vollgepacktem Rucksack haben wir uns als Gruppe zum Abflug bereit am Gate im Frankfurter Flughafen getroffen.
In Santa Cruz wurden wir am Flughafen von einem Fahrer abgeholt und zum „Hostelling International – Bolivia“ im Süden der Stadt gebracht. Dort empfing uns der nette Leiter der Organisation, Herr Max Steiner, in einem neu errichteten Haus für deutsche Freiwillige. Hier wohnten wir in den kommenden zwei Wochen. Wir hatten jeder ein sehr schönes Zimmer mit Bad und Klimaanlage. Die große Küche teilten wir mit den anderen Freiwilligen.
Am zweiten Tag schon holte uns Nacira, die Verantwortliche für uns vor Ort, ab und brachte uns zu unserem ersten Einsatzort: Eine kleine, wenig genutzte Zweigpraxis einer lokalen Zahnärztin. Welch ein Unterschied zu dem, was ich aus der Uni her kannte! Burkhard, der erfahrene Zahnarzt, untersuchte das Vorhandene systematisch, um sich schnell einen Überblick darüber zu verschaffen, was wir für die Behandlungen in einem Zahndepot noch kaufen müssten. In einem kleinen Händlerviertel mit mehreren Läden, voller medizinischer Artikel fanden wir einige Zahndepots. Schließlich hatten wir zwei Tüten voll mit den nötigsten Materialien zusammen!
Arbeiten konnten wir vor dem Wochenende nicht mehr, da in Santa Cruz gerade gestreikt wurde. Undenkbar für uns, dass das ein Grund für einen Zahnarzt ist, nicht zu arbeiten. So nutzen wir die Zeit, um die Umgebung zu erkunden. Narcias Ehemann fuhr uns zu den nahegelegenen Dünen und in ein Dorf, in dem der letzte Tag des Karnevals gefeiert wurde, bunt, lustig, lebensfroh.
Auf unserem Weg zur Praxis im lokalen Gesundheitszentrum „Shalom“, das auch von einer Allgemeinmedizinerin und einer Pharmazeutin genutzt wurde, lernten wir einiges zum Verkehr in Bolivien: Benzin kostete ein Bruchteil von unserem Benzin. Es wird nur an angemeldete Autos abgegeben. Die restlichen Autos sollen das Benzin wohl außerhalb der Tankstelle bekommen. Sicherheitsgurte sind nur Dekoration, so dass eine Fahrt über Schlaglöcher und Kurven immer ein Abenteuer ist.
Wir fuhren auch mit dem Microbus 21 selbstständig in die Innenstadt. Zum Aussteigen gab man dem Fahrer nur Bescheid und er hielt dort.
Die meisten Lebensmittel kauften wir auf dem nahe gelegenen Markt. Auf engem Raum türmten sich alle Art von Obst, Gemüse, Fleisch und sonstigen Gegenständen. Kleinigkeiten kauften wir im nahegelegenen Tienda. Dies war ein Nebenraum, der an ein kleines Haus angebaut war und eine komplett vergitterte Fassade hatte.
Unsere Arbeitszeit war von 8-17 Uhr. Währenddessen wurden wir von Melissa, einer Wirtschaftsstudentin, die im Zentrum aushalf, betreut. Sie koordinierte die Patienten und kümmerte sich um unser Mittagessen. Später gingen wir mittags gleich in die angegliederte christliche Kindertagesstätte. Als Conny Geburtstag hatte, holte einer der Mitarbeiter die Gitarre heraus und alle sangen für sie ein fröhliches Geburtstagslied. Dabei waren es 34 Grad Celsius im Schatten.
Unsere Patienten waren sehr individuell und in allen Altersstufen von 2 - 70 Jahren vertreten. Da die Ausstattung etwas eingeschränkt war, haben wir uns hauptsächlich auf die Sensibilisierung, Putzinstruktion und Fluoridierung bei Kindern sowie die Schmerzbehandlung konzentriert. Neben vielen wichtigen Extraktionen füllten wir strategisch wichtige Zähne bei Kindern mit Komposit durch.
Nach einer Woche intensiver Arbeit fuhren wir ins nahegelegene Amazonasgebiet. Mit einem Flugzeug flogen wir auf den kleinen Flugplatz in Trinidad mitten im Regenwald. Efrem, von der Lodge Chuchini, holte uns in einem rustikal ausgebauten Geländewagen ab. Die Straße war so abenteuerlich, mit tiefen Schlaglöcher und Furchen, dass sogar Motorräder teilweise große Mühe hatten, vorwärtszukommen.
Mulmig wurde uns, als wir an einem Flugzeugwrack im Grünen vorbeikamen. Efrem beruhigte uns aber, dass dabei kein zu großer Schaden entstanden war und das Wrack nur nicht abgeholt worden sei. Immer wieder lauschte ich gespannt der besonderen Geräuschkulisse: Zirpen der Myriaden von Zikaden, Singen vieler verschiedener Vögel, das Brüllen der Brüllaffen, Knacken von Ästen, ein Konzert mit den Stimmen des tropischen Regenwaldes. Wir machten eine Bootstour auf dem Rio Mamore, streiften dabei herunterhängende Äste, fuhren über vermodertes Holz und beobachteten Delfine. Wir angelten Piranas, beobachteten bei Nacht die funkelnden Augen von Alligatoren und ritten eine Runde auf Pferden. Gegen die lästigen Moskitos halfen nur Mückenspray (Nobite) und vor allem helle, weiße Kleidung.
Gegen Ende unserer Zeit in SANTA CRUZ luden Max und seine Ehefrau Marta uns und die anderen deutschen Freiwilligen zu einem großen Paella-Kochkurs ein. Dabei lernten wir in netter Runde viel über die bolivianische Küche.
Unsere nächste Station war SUCRE, die konstitutionelle Hauptstadt Boliviens, hochgelegen, so dass wir den ersten Höhenunterschied und die klimatischen Änderungen deutlich spürten. Auch dort wurden wir wieder sehr nett in einem HI Haus mit vielen deutschen Freiwilligen empfangen. Ein besonderes Ereignis war der Besuch des traditionsreichen Ortes TARABUCU mit den anderen Freiwilligen. Dort wurde an diesem Tag das jährliche indigene Fest gefeiert, bei dem die Männer bunte Gewänder und aus Holz gefertigte Schuhe trugen. An der Ferse der Schuhe waren Metallscheiben angebracht, die bei den tanzenden Bewegungen laut schellten und damit an die metallischen Geräusche der vergangenen Kriege erinnern sollten. Mit blutigen Füßen tanzten die Männer weiter nach den Klängen von Panflötenspielern. In der Mitte des Umzugs liefen Mädchen in Kleidern mit bunten indigenen gewebten Mustern.
Am gleichen Abend fuhren wir weiter zu unserm nächsten Einsatzort, PRESTO. Dies lag von den Anden umgeben mit kleinen Feldern und Gärten etwa 3.5 Stunden entfernt von Sucre. Hier sollten wir mit den ortsansässigen Vertretern die Rahmenbedingungen für zukünftige Teams besprechen. Wir wussten zunächst nicht, dass wir mit der Klinikleiterin des lokalen, recht neu gebauten Klinikums, einem Vertreter, dem leitenden Zahnarzt, mit einer weiteren Zahnärztin, dem Bürgermeister und einem Vertreter von HI Bolivia an einem Tisch sitzen würden. Es war ein recht langes, ergebnisreiches, intensives Gespräch, das fast Verhandlungscharakter hatte. Zum Schluss zeigten sie uns das „Odontomobil“, mit welchem die Teams in die umliegenden Ortschaften fahren sollten. Damit soll denen geholfen werden, denen der Zugang zu zahnmedizinischer Hilfe erschwert ist. Auf engstem Raum ist der Transporter sehr effizient mit dem Nötigsten ausgestattet. Wenn dann noch Strom, Wasser und die Turbinen funktionieren wie versprochen, ist dies ein sehr schönes und effektives Mittel, dort zu arbeiten.
Gegen Abend ging unser langer, mühsam zu fahrender Weg zurück nach Sucre. Von da aus machten wir uns auf den Weg nach LA PAZ, dem Regierungssitz von Bolivien und mit 3500m ü.NN der höchsten Stadt der Welt. Zur Sicherheit und aus Angst vor der berüchtigten Höhenkrankheit nahmen wir die nur hier verkauften Sorochi Pills. Ein echtes Erlebnis, eine weiß-rote kleine Pille zu nehmen, die in Deutschland nicht zugelassen ist und von der auch keine offizielle Packungsbeilage existiert oder uns zugänglich war. Wir leben noch und von daher ist den Empfehlungen auch weiter zu vertrauen.
Auch hier wurden wir von einem Fahrer vom Flughafen abgeholt und direkt zur Unterkunft von HI Bolivia gebracht. Dort erwartete uns nach einem kurzen Erholungstee der Auftrag, die nötigen Materialien für unseren nächsten Einsatzort, der ISLA DEL SOL im Titicacasee, zu besorgen. Auf verschiedenen Märkten fanden wir wichtige Utensilien. Auf dem Rückweg wurden wir in der Gondel mit einem traumhaften Blick über ein Meer von Lichtern über der Riesenstadt belohnt.
Auf der Reise zur ISLA DEL SOL bangten wir bei jedem Umstieg um unsere mehr als sieben Gepäckstücke. In Copacabana trafen wir Nelson, der für den Rest der Zeit für uns verantwortlich war. Schließlich fuhren wir in einem fast überfüllten Boot über den Titicacasee. In einem der leeren Häuser am Strand wohnten wir. Von Nelsons Familie wurden wir dort herzlich empfangen. Dabei waren drei Generationen unter einem Dach. Der Weg zur Praxis führte am Strand entlang und einen kleinen Berg hinauf. Viermal täglich liefen wir ihn entlang. Die Praxis dort war seit etwa drei Jahren unbenutzt, aber mit allen Instrumenten gut ausgestattet, die wir brauchten.
Zu Beginn begrüßte uns der Bürgermeister und sagte uns, wie dankbar er über uns war. Zunächst kamen nur wenige Patienten, sodass wir Zeit hatten, alles zu inspizieren, zu reinigen und zu richten. Nachdem sie uns aber beobachtet hatten, kamen mehr. Als wir wieder gehen mussten waren es sehr viele, die nicht verstehen konnten, dass wir wieder fahren.
Ein wichtiger Teil unseres Einsatzes hier war die ansässige Schule. In unterschiedlichen Klassen der Grundschulstufen sprachen wir über gute Ernährung und Mundhygiene. An einem Modell und einer sehr großen Zahnbür s t e demons t r ier ten wi r di e verschiedenen Techniken spielerisch. Zum Schluss screenten wir die Zähne aller Schüler der Klassen. Daraufhin bekamen sie einen Zettel für die anstehenden Behandlungen. Erschreckend für uns war, dass von knapp 100 Schülern nur etwa vier kariesfrei waren. Ein alarmierender Unterschied zur urbanen Region in Santa Cruz und zeigt die Behandlungsnotwendigkeit auf dem Lande, hier aber in einer entlegenen Landschaft aber besonders. Als Geschenk bekamen die Kinder für die Behandlung bei uns eine von uns mitgebrachte Zahnbürste und eine Zahnpasta.
Zurück in Santa Cruz fühlten wir uns fast wieder wie zu Hause, die Temperaturen, Räume und Menschen.
Hier lernten wir auch die Zahnärztin Ruth aus dem nächsten Team kennen. Ein schöner Austausch und viele Erzählungen an den letzten Tagen vor der Heimreise.
Die Arbeit mit den Menschen, in dem Team und überhaupt die Zeit in diesem eindrucksvollen Land waren für mich eine große Bereicherung. Ich bin sehr froh über diese Zeit und freue mich über jeden, dem wir ein Lächeln schenken durften. Felicia Michallek im Juli 2022